Brüderchen und Schwesterchen
Katharina Wackernagel erzählt Märchen
Die Edition See-Igel erfreut große und kleine Märchenfreunde seit vielen Jahren mit ihren wundervoll musikalisch gestalteten Aufbereitungen der Märchen der Gebrüder Grimm. Neu im Programm: „Brüderchen und Schwesterchen“.
VON WOLFRAM GOERTZ
Wenn es diese Produktionen der Edition See-Igel nicht gäbe, man müsste sie erfinden: Ton-Aufnahmen berühmter Märchen, gesprochen von hochrangigen Sprechern, versehen mit entzückender klassischer Musik, die das Märchen zwischendurch auflockert oder ihren geistigen Gehalt vertieft. Seit einigen Jahren sind diese wunderbaren Lieferungen vom Bodensee aber auf dem Markt, und ihre Kundschaft wird von Produktion zu Produktion größer. Es spricht sich halt herum, wie liebevoll Ute Kleeberg und Uwe Stoffel in der Kombination von Text und Musik operieren.
Das hier sind ja weit mehr als Hörbücher, sondern kleine theatralische Neukompositionen, die mit Musik an dramaturgisch wichtigen Positionen spielen, wodurch Spannung mitunter ins Unerträgliche ausgereizt wird. Strandbadstraße 8 in Iznang lautet die Postadresse, das scheint – nah am Bodensee – ein inspirierender Ort zu sein. Dort kommen Ute Kleeberg und Uwe Stoffel, die die „Edition See-Igel“ betreiben, auf zauberhafte Ideen, wie sie Märchen mit klassischer Kammermusik zu kleinen Gesamtkunstwerken machen. Der Aufwand ist nicht groß: Sie brauchen einen Erzähler, brauchen gute Musik, die sie dem Märchen an ausgewählten Stellen als Verweil-, Traum- und Nachdenkzone einweben, brauchen Musiker, die ihnen die Musik neu aufnehmen. Denn meistens sind die Kompositionen von überall her zusammengeklaubt.
Kleeberg/Stoffel haben von Beginn an Wert auf hohes Niveau gelegt; zahlreiche Preise würdigten diesen Anspruch. Sie haben sich nur wertvolle und auch entlegene Märchen ausgesucht: „Des Kaisers neue Kleider“, „Zwerg Nase“, „Kalif Storch“, „Der Froschkönig“, „Jorinde und Joringel“, „Schneeweißchen und Rosenrot“ und viele andere. Und stets beschäftigen sie Sprecher von Rang: Christian Brückner, Ulrich Noethen, Friederike Wagner, Oliver Reinhard, Karin Pfammatter, Walter Sittler, Samuel Weiss. Auf der CD „Prinzessin Graues Mäuschen“ – dieses Märchen hat Kleeberg nach einem Fragment der Brüder Grimm selbst bearbeitet – hat Eva Mattes tief ins Repertoire ihrer stimmlichen Wandlungsfähigkeit gegriffen.
Jetzt entzückt Katharina Wackernagel als Sprecherin mit einer höchst einfühlsamen, liebevollen Lesart des Grimm-Märchens „Brüderchen und Schwesterchen“. Da sind wir oft im Wald, und ins Wald gehört ein Horn, weswegen die Produzenten erlesene Kammermusik ausgesucht haben, bei denen das Horn mitspielt. Zwischendurch bemerkt man, dass Grimm auch für Erwachsene zum Gruseln ist. Deshalb der wohlgemeinte Tipp des Rezensenten: diese CD am besten mit der ganzen Familie gemeinsam hören, dann können alle einander jederzeit trösten, wenn die Spannung kaum zum Aushalten ist.
Rheinische Post Montag 7. Oktober 2013 Wolfram Goertz