Das tapfere Schneiderlein
Bloß nicht zutexten !
„Das tapfere Schneiderlein“ und andere Märchen mit Musik: 25 Jahre Edition See-Igel
Von Jens Dirksen
Als Ute Kleeberg vor einem Vierteljahrhundert mit ihrem Mann Uwe Stoffel die erste CD ihrer Edition See-Igel aufnahm,
war das ein Experiment, ein Wagnis – aber kein Neuland.
Die gelernte Lehrerin hatte das Rezept mit verhaltensauffälligen Kindern entwickelt: Ein, zwei Absätze einer Geschichte, dann ein Satz Musik; dann wieder Absätze, dann wieder Musik. In der Bibliothek von Reutlingen wirkte die klassische Kammermusik Wunder bei Lesungen, Siebtklässler zischten „Schnauze!“, wenn kleinere Kinder unruhig wurden.
Und erzählten ihrer Lehrerin Ute Kleeberg hinterher ihre eigenen Geschichten, Geschichten, die sonst niemand je hätte zu hören bekommen: „Die Musik geht eine besondere Allianz mit den Worten ein und berührt die Menschen, öffnet Türen in ihnen.“ Anfangs hat sie auch noch ein Dutzend Dias dazu gezeigt,
da sagten die Kinder anschließend: „Der Film dazu war wirklich schön.“
Ute Kleeberg hatte in Ruhe-Phasen für ihre „schwierigen“ Schüler, in denen
sie frei arbeiten konnten, Kammer-Klassik aufgelegt, „ich hab sie träumen lassen, sie sollten einfach hören, was ihnen die Musik erzählt, niemand hat sie zugetextet, es gab keine Lernziele.“ Über ein Vierteljahrhundert ist
das her, gerade ist die CD Nr. 45 erschienen, eine typische See-Igel Produktion, für die oft prominente Sprecher wie Christian Brückner, Eva Mattes, Suzanne von Borsody oder jetzt wieder Ulrich Noethen
gewonnen werden. Er hat „Das tapfere Schneiderlein“ eingelesen,
zu ungemein stimmiger Musik von Mozart, Ignaz Pleyel und Charles Koechlin.
Ute Kleeberg hat das Grimm-Märchen umgeschrieben; ursprünglich war das Schneiderlein ein „Entenklemmer“, wie Ute Kleeberg schwäbelt, ein Griesgram, geizig und sehr auf seinen Vorteil bedacht.
Jetzt aber erobert ein gut gelauntes Schneiderlein, dem die Kunden immer Fehler nachzuweisen versuchen, um die Preise zu senken, die Welt, also am Ende ein halbes Königreich und die Prinzessin dazu.
Die Qualität der Verflechtung von Märchen mit Musik schwankte in den
25 See-Igel-Jahren durchaus – aber nur ein wenig und durchgehend auf
höchstem Niveau. Ute Kleeberg hat es dabei stets abgelehnt, die Musik-und-Märchen-Mischungen anders anzubieten als auf CDs oder in Konzerten: „Wenn Sie die Künstler anständig bezahlen wollen, ist das mit Downloads und Streaming nicht möglich, das ist Kannibalismus in der Kultur.“ Stattdessen hat sie in diesem Jubiläumsund Corona-Jahr lieber einzelne Hörstücke auf ihrer Homepage verschenkt, um den Menschen etwas zurückzugeben von dem Glück, das der konstante Verkaufserfolg bedeutet: „Wenn ich ein Geschenk mache,
erwecke ich wenigstens nicht den Eindruck, man könne das alles mit winzigen Bruchteilen von Cent-Beträgen finanzieren“.
Das tapfere Schneiderlein.
Bearb. v. Ute
Kleeberg. Stimme: Ulrich
Noethen. Musik: Uwe Stoffel/
Kurt Berger/Albrecht
Holder spielen Musik von
Mozart, Pleyel und Koechlin.
Empfohlen ab 5 Jahren,
68 min., ca. 15 Euro.
Jens Dirksen in:
WAZ
Westfalenpost,
Westfälischen Rundschau
Neuen Ruhr/Neuen Rhein Zeitung